Der Aufruf im Wortlaut:
Demokratie in Not – Aufruf zum Innehalten
„Ob wir getrieben werden in Rudeln,
wir haben’s gesehen.“
Marie Luise Kaschnitz
Es ist kalt geworden in Deutschland, Europa und der Welt. Kalt und unheimlich. Und erschreckend grausam. Unser Eigenstes ist bedroht: das Vermögen sprechen zu können. Miteinander. Ohneeinander. Übereinander. Und die Gabe zuzuhören. Wir verlernen es täglich mehr.
Zuhören und Sprechen sind Grundpfeiler der Demokratie. Nach Aristoteles ist es die Auszeichnung des Menschen, dass er sprechen kann. Und Hannah Arendt schrieb uns ins Stammbuch, das Versagen der Sprache sei das Ende der Politik, des Sozialen: „Sofern wir im Plural existieren, und das heißt, sofern wir in dieser Welt leben, […] hat nur das Sinn, worüber wir miteinander oder wohl auch mit uns selbst sprechen können“.
Können wir das nicht mehr, drohen uns Vereinzelung, Identitätsverlust und Gesellschafts-kollaps. Mehr oder weniger zu sein, hilft uns allein nicht weiter. Wir müssen etwas tun. Was wir tagtäglich hören, sehen, lesen, zufügen oder erleiden, lässt sich nicht in Fernsehen oder Social Media abschieben oder verarbeiten. Keine Talkshow vertreibt uns den Frost aus der Seele, kein Jahrhundertsommer übertüncht die soziale Eiszeit.
Als Bundesdachverband für Kulturelle Bildung setzen wir uns mit unseren 56 Mitgliedsverbänden dafür ein, Kinder und Jugendliche zu gesellschaftlicher Teilhabe, Souveränität und Haltung zu befähigen. In 10.000 Einrichtungen, 50.000 Projekten, 100.000 Kooperationen suchen wir Tag für Tag durch Geistes- und Herzensbildung dazu beizutragen, dass die Welt ein etwas freundlicherer Ort wird.
Wir sind bestürzt über die offenkundige Gewaltbereitschaft und den eklatanten Mangel an Zivilcourage in der Bevölkerung, der wir selbst angehören. Wir sind entsetzt über das Sprachversagen großer Teile der Politik, über den kalkulierten Opportunismus selbst staatlicher Organe, über die dienstfertige Vergesslichkeit, als gäbe es kein Gestern oder Morgen. Wir rufen auf zum Innehalten. Wir brauchen eine kulturelle Selbstbesinnung. Wir fordern ein zivilisatorisches Minimum an Achtung und Respekt, Solidarität und Empathie.
„Nur um der Hoffnungslosen willen ist uns die Hoffnung gegeben.“ Walter Benjamin, auch ein gewalt-vertriebener Flüchtling, hat das in anderen kalten Zeiten gesagt. Wer Menschlichkeit will, muss Flagge zeigen. Wir rufen auf zum Widerstand gegen Gewalt und zum aktiven Engagement für ein wertebasiertes Miteinander.
Remscheid und Berlin, den 13. September 2018
Vorstand und Geschäftsführung der Bundesvereinigung
Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e.V. (BKJ)
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